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Christoph Schlingensief, der Auktionär

Chris Dercon, London, Februar 2012

  • CHRIS DERCON UND CHRISTOPH SCHLINGENSIEF, MÜNCHEN, 2005
    PHOTO: MARION VOGEL
    Christoph Schlingensief interessierte sich weder für die Aufteilung in Kunstsparten, noch für die Auflösung dieser Sparten. So hatte er immer wieder behauptet: »Ich bin kein Filmemacher mehr.« Oft fühlte er sich viel eher im Museum zuhause als im Theater: »Ich komme vom Film. Aber Kunst ist einfacher zu produzieren. Man kann unheimlich viel machen.« Widersprach er sich? Nein, er ließ sich einfach nur nichts vorschreiben. Er handelte, und zwar wie in seinem Afrikaprojekt, immer im Sinne eines »Unterhändlers«. In den letzten Monaten seines Lebens verhandelte er stets um Geld für das Operndorf Remdoogo in Burkina Faso. Ende Juni 2010 zeigte er während seines letzten öffentlichen Auftritts zur Eröffnung der Münchener Opernfestspiele, wo er in Via Intolleranza II selbst den »Neger« spielte, auf der Bühne die am selben Tag erschienene Kunstmarktseite der FAZ. Zu sehen war die Abbildung eines fotorealistischen Gemäldes von Gerhard Richter, betitelt »Neger«, aus dem Jahr 1964. Es sollte kurz darauf versteigert werden und wurde sehr hoch eingeschätzt. Einige Tage später musste Christoph Schlingensief im Krankenhaus wieder bestrahlt werden. Das Kunstwerk wurde für etwa vier Millionen Euro versteigert, schon die Hälfte hätte für den Aufbau von Remdoogo ausgereicht. Zwei Monate später starb Christoph Schlingensief. Aber die Entwicklung von Remdoogo und diese Auktion beweisen: Christoph Schlingensief ist nicht tot, er hat sich nur sehr gut versteckt.
  • In der bildenden Kunst war Christoph Schlingensief gerne präsent. Als er 2003 am Eingang des Biennale Terrains in Venedig den »Ersten Internationalen Pfahlsitzwettbewerb« der »Church of Fear« zeigte, seine erste Zusammenarbeit mit der Galerie Hauser und Wirth, versuchte er zu erklären, weshalb Martin Kippenberger ihn so faszinierte: »Ja, ja, die Kunst ist immer dabei.« Also wollte Christoph Schlingensief bei der Kunst sein. Und ähnlich wie im Theater und im Film hatte er auch in diesem Bereich in den Kuratoren Klaus Biesenbach, Catherine David, Hans Ulrich Obrist, Kaspar Koenig, Ulrich Wilmes, Stephanie Rosenthal, Raphael Gygax und Susanne Pfeffer wagemutige Komplizen. Seit Schlingensiefs »Wiederauferstehung« unter Regie der Museumsdirektorin Susanne Gaensheimer im Deutschen Pavillon der 54. Biennale in Venedig, gibt es auch außerhalb des deutschsprachigen Raumes viele an Schlingensiefs Arbeit interessierte »Kunst-Profis«. So war Christoph Schlingensief sehr stolz auf seine Auftritte auf der Documenta 10, der Biennale von Venedig, im Museum Ludwig in Köln und im Haus der Kunst in München und auf die Anerkennung im Kunst-Milieu, die er durch seine Arbeiten erlangte.

    Er interessierte sich hauptsächlich für Kunst und Künstler, die sich von dem, was er als »Sauberkeit der Kunst« bezeichnete, verabschiedet hatten: das Kotzen von Otto Muehl und der anderen Wiener Aktionisten, der tote Hase und der »erweiterte Kunstbegriff« von Joseph Beuys, die Gefühlsmaschinen von Dieter Roth und die fließenden Ideen des Fluxus, Aktionen und Allan Kaprow, die Prozessionen von Paul Thek, die Tapferkeit Martin Kippenbergers, und Paul McCarthys Ketchup-Massaker, letzterer ein Künstler dessen Unabhängigkeit Christoph Schlingensief sehr schätzte.
  • Im Juli 2005 sagte er in einer satirischen Talkshow unter dem Motto »Ich will beweisen dass in Deutschland jeder Talkmaster werden kann« im Münchener Haus der Kunst dem – natürlich abwesenden – Ausstellungskünstler Paul McCarthy: »Ich freue mich dass Paul McCarthy auch hier ist um über Kunst zu reden. And I am now imitating your work or you imitate me. I am with the same gallery as you. Now the problem is, as some people say: There is a young man who wants to be like Paul McCarthy.« [sic] Am Ende seiner Talkshow eignete Schlingensief sich die Arbeit McCarthys an indem er seine Hose herunterzog und seinen nackten Hintern mit »Mittelscharfem Senf« beschmierte. Der Abdruck des Körperteils, eine leicht verschmutzte, gelbe Zeichnung auf Papier, wurde im großen Stil dem anwesenden Publikum für eine Mindestgebot von 50 Euro angeboten. Mangels Geboten wurde die Arbeit jedoch zurückgezogen und verblieb im Besitz der Veranstalter. Einige Monate später wurde dieselbe, mittlerweile getrocknete und gerahmte Zeichnung wieder im Haus der Kunst zur Auktion angeboten, dieses Mal zugunsten eines Münchner Verlags, und für mehrere Tausend Euro an einen anonymen Sammler verkauft. Christoph Schlingensief hatte den Kunstbetrieb verstanden und der Kunstbetrieb fing an, ihn zu verstehen. Auch die Auktionen waren zum Teil seiner Arbeit geworden.

    In Venedig wollte Schlingensief eine käfigartige Struktur an der Außenfassade des Pavillons errichten – eine wilde Dramatisierung der aufgeladenen Beziehung zwischen Afrika und Europa – um Afrikaner wie Künstler, Schauspieler und Computeringenieure in Anspielung auf Weltausstellungen und ethnografische Schauen des 19. Jahrhunderts als Kuriositäten zu präsentieren. Einer dieser Käfige sollte einen afrikanischen Künstler beherbergen, der Bilder von »Negern« in der Manier Gerhard Richters gemalt hätte. Ich bin mir sicher dass, wäre dieser Plan realisiert worden, Schlingensief diese Bilder zugunsten seines Projektes in Afrika versteigert hätte. Nach dem frühzeitigen Tod von Christoph Schlingensief entschied sich Susanne Gaensheimer, in Venedig ausschließlich bereits existierende Arbeiten zu zeigen. Dennoch war Remdoogo als work-in-progress im Pavillon präsent.
  • Auktion 3000 wurde organisiert um Remdoogo, dessen Schule bereits am 8. Oktober 2011 eröffnete, eine Zukunft zu geben. Remdoogo wird sich immer in einem permanenten Verwandlungsprozess weiterentwickeln. Veränderung war der Kern der Vision von Christoph Schlingensief und Remdoogo ist in den Worten Patti Smiths »a door of perception and a site of exception.« Viele kulturelle Infrastrukturen fallen durch das was sie zeigen auf, aber nur wenige sind außergewöhnlich darin, wie sie Dinge tun. Remdoogo will vor allem einen Treffpunkt kreieren, einen Ort, an dem Menschen, die etwas wissen, sich auf Menschen einlassen, die wiederum etwas anderes wissen. Diese Auktion funktioniert auf die gleiche Weise: es ist eine Transaktion zwischen denen, die etwas haben und denen, die etwas anderes haben. Und genau darum ging es auch in Via Intolleranza II!